Vorwort
Selbstspielende Klaviere
gehören zu den faszinierendsten Entwicklungen der Musikgeschichte. Die
hochwertigen Reproduktionsklaviere wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts
entwickelt und erlebten in den folgenden zwei Jahrzehnten einen
kometenhaften Aufstieg. Man verfügte nun erstmals über eine Möglichkeit, das
Klavierspiel eines Pianisten aufzuzeichnen und nahezu authentisch
wiederzugeben, lange bevor es möglich war, den Klavierton in befriedigender
Weise auf Grammophonplatten zu konservieren.
Selbstspielklaviere wurden zu Hunderttausenden gebaut, und ein wohlhabendes
bürgerliches Haus ohne Welte-Mignon, Phonola, Pianola – oder wie sie auch
alle hießen – war undenkbar. Die bedeutendsten Pianisten der
Jahrhundertwende verewigten ihr Klavierspiel auf Lochstreifen, mit denen die
Selbstspielklaviere gesteuert wurden. Die Pianisten waren damals bei den
Herstellern von Selbstspielklavieren unter Vertrag, so wie sie es heute bei
Schallplattenfirmen sind. Die Notenrollenkataloge umfassten Tausende von
Musikstücken, darunter das gesamte klassisch-romantische Klavierrepertoire.
Man konnte aus einer Vielzahl verschiedener Interpretationen z.B. des damals
sehr populären Liebestraums von Liszt oder der Mondscheinsonate von
Beethoven auswählen, und manche Musikaliengeschäfte verfügten sogar über
Leihbibliotheken für Notenrollen (Lochstreifen).
Obwohl das Selbstspielklavier mehrere Jahrzehnte einen festen Platz im
Musikleben einnahm, gibt es bis heute keine umfassende Betrachtung dieses
Phänomens, das im Grenzbereich zwischen Instrumentenbau, Technik- und
Kulturgeschichte sowie Musikwissenschaft angesiedelt ist. Durch das
vorliegende Buch soll diese Lücke geschlossen werden. Im Mittelpunkt stehen
weniger die Technik oder die enzyklopädische Aufzählung der verschiedenen
Hersteller, Marken und Typen aller Selbstspielklavier-Systeme – der Sammler
möge mit dies nachsehen. Auch auf technische Details soll nur insoweit
eingegangen werden, als sie zum Verständnis des Aufnahme- und
Abspielvorgangs – und somit zur Beurteilung von Aufnahmen, die in den
letzten Jahren den Markt geradezu überschwemmen, notwendig sind.
Zweck der vorliegenden Arbeit ist vielmehr die kulturgeschichtliche
Untersuchung des Phänomens Selbstspielklavier (Player Piano). Ein
Vierteljahrhundert spielte dieses Instrument eine entscheidende Rolle im
öffentlichen und privaten Musikleben. Hauptanliegen des Autors ist es, die
Rolle des Selbstspielklaviers im musikalischen und soziokulturellen Umfeld
deutlich zu machen und die Hintergründe zu beleuchten, die dazu führten,
dass dem Selbstspielklavier während dreier Jahrzehnte nicht nur ein
glänzender wirtschaftlicher Erfolg beschieden war, sondern dass auch
Musiker, Musikkonsumenten und die Musikwissenschaftler gleichermaßen von
dieser Entwicklung fasziniert waren. In den zwanziger Jahren ‚entdeckten‘
die Komponisten, dass das Selbstspielklavier die Möglichkeiten eines
Pianisten in vieler Hinsicht übersteigt. Strawinsky, Hindemith, Toch,
Antheil und andere schufen von Hand nicht mehr spielbare
Originalkompositionen für die ‚Klavierspielmaschinen‘, die sie direkt auf
einen Papierstreifen komponierten und stanzten. Noch 1925 prognostizierte
man den mechanischen Musikinstrumenten eine glänzende Zukunft – nicht nur
zur Wiedergabe anspruchsvoller Klaviermusik, sondern auch als Medium für
Komponisten. Die Entwicklung neuer Verfahren zur Musikwiedergabe setzte
jedoch allen Zukunftshoffnungen ein jähes Ende. Die Selbstspielklaviere
verschwanden von der Bildfläche. Der Selbstspielmechanismus, der im
Wesentlichen aus vergänglichen Materialien wie Holz, Leder und
Gummischläuchen bestand, versagte infolge mangelnder Wartung seinen Dienst –
er wurde ausgebaut und entsorgt. Die Instrumente wurden oft als
‚Handspielinstrumente‘ weiter genutzt.
Erstaunlicherweise geriet das Faszinosum Selbstspielklavier auch bei der
Musikwissenschaft in Vergessenheit. Erst durch das grandiose Werk des
amerikanisch-mexikanischen Komponisten Conlon Nancarrow gelangte das
Selbstspielklavier wieder in den Blickpunkt der Musikwelt: Nancarrow widmete
sein gesamtes kompositorisches Werk während nahezu vierzig Jahren dem Player
Piano. In der Folgezeit entdeckten auch andere Komponisten den Reiz dieser
Instrumente: James Tenney, György Ligeti, Tom Johnson, Krzysztof Meyer,
Michael Denhoff, Wolfgang Heisig, Steffen Schleiermacher, Gerhard Stäbler
und Marc-André Hamelin sind nur einige der Komponisten, die neue Werke für
das Player Piano schufen.
Dank gilt all jenen, die bei der Entstehung dieses Buch durch ihr Engagement
mitgewirkt haben: meiner Frau Beatrix für wertvolle Ratschlage und
Korrekturen; Herrn Heinrich Mehring, der vielfältige fotografische Arbeiten
einschließlich der Bildbearbeitungen übernahm; Herrn Arthur Ord-Hume für
fachliche Ergänzungen und Korrekturen; Bernhard Häberle für die kritische
Durchsicht des Manuskripts; der Edition Bochinsky für die Bereitschaft, sich
auf das Wagnis einzulassen, ein nicht alltägliches Buch in einer recht
aufwendigen Gestaltung zu verlegen; dem Verlagsleiter Tim Schönemann für die
stets unkonventionelle und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Mein ganz besonderer Dank gilt zudem zwei Institutionen: der Bayer
Kulturabteilung unter Leitung von Nikolas Kerkenrath, ohne deren finanzielle
Unterstützung dieses Buch nicht hätte verlegt werden können, sowie der
Gesellschaft für Selbstspielende Musikinstrumente, die durch Abnahme eines
größeren Kontingents an Exemplaren für ihre Mitglieder die Verlegung und
Verbreitung dieses Buches entscheidend unterstützt hat.
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