Entwicklungsgeschichte und
Konstruktionsmerkmale Der Wunsch,
Instrumente selbstspielend zu gestalten, um - unabhängig von den eigenen
musikalischen Fähigkeiten - Musik erleben zu können, ist nahezu so alt wie
die Instrumente selbst. So wurden bereits um 1600 selbstspielende Spinette
konstruiert, von denen einige noch heute erhalten sind. Im 19. Jahrhundert
entstand das Walzenklavier. Bei diesen meist einfachen Instrumenten wurden
die Klavierhämmer durch Stifte betätigt, die sich auf einer sich drehenden
Holzwalze befanden. Die Herstellung solcher Stiftwalzen mit wenigen nur
kurzen Musikstücken war sehr aufwendig, weil Tausende von Metallstiften
millimetergenau in ein Holzwalze eingeschlagen werden mussten. Die Musik
hämmerte eintönig ohne dynamische Differenzierung. (In der neueren Literatur
wird die Notenrolle für pneumatische Klaviere irrtümlich oft als "Walze" und
das hochwertige Selbstspielklavier als "Walzenklavier" bezeichnet. Um
Missverständnisse zu vermeiden, sollten diese Begriffe, die auf
Übersetzungsfehler der Stravinsky - Literatur zurückzuführen sind, unbedingt
vermieden werden.)
Der eigentliche Durchbruch bei der
Konstruktion selbstspielender Tasteninstrumente gelang erst mit der
Einführung des pneumatisch ausgelösten Tonanschlags. Mit Hilfe von
saugluft-betätigten Blasebälgen (Tonbälge) konnte man zum einen einen
‘elastischen’ Anschlag erzielen, zum anderen war es erstmals möglich, durch
Änderung der Saugluftspannung (= Änderung des Vakuums) die Stärke des
Anschlags stufenlos zu variieren.
Die zweite entscheidende Neuerung um die
Jahrhundertwende war die Einführung von gelochten Papierstreifen als
Toninformationsträger und deren pneumatische Abtastung. Diese ‘Notenrollen’
sind in eine Vielzahl von Spuren eingeteilt - eine Spur für jeden spielbaren
Klavierton. Darüber hinaus enthalten sie noch Spuren zur Steuerung der
Pedale und der Dynamik. Eine Lochleiste (Gleitblock), die fest am Klavier
angebracht ist, enthält für jeden "pneumatisch" spielbaren Ton ein Loch.
Dieses Loch ist über eine luftdichte Leitung mit einem am Tonbalg
befindlichen Ventil verbunden.
Zu Beginn des Spiels wird der ganze
Gleitblock durch eine entsprechend breite Notenrolle abgedeckt. Alle Löcher
und somit alle Leitungen werden nun unter Vakuum gesetzt, und die Notenrolle
wird mit gleichmäßiger Geschwindigkeit über den Gleitblock gezogen.
Erscheint nun ein Loch in der Notenrolle, so kann Luft durch das Loch des
Gleitblocks in eine Leitung einströmen. Dieser Luftstoß öffnet das Ventil am
Tonbalg, der nun an einen großen Raum, der Unterdruck enthält ("Windlade"),
angeschlossen und leergesaugt wird. Der Balg klappt zu. Diese Bewegung wird
zum Auslösen des entsprechenden Klaviertons ausgenützt. Die Länge des Lochs
bestimmt die Länge des Tones.
Schemazeichnung eines Pianolas (einer Phonola).
Durch "Ansteuern" der verschiedenen Löcher des
Gleitblockes durch entsprechende Löcher der Notenrolle lassen sich alle
Klaviertöne zu exakt festgelegten Zeitpunkten betätigen. Durch die Höhe des
Vakuums lässt sich die Lautstärke steuern. Wird ein geringes Vakuum
angelegt, so wird der Balg langsam leergesaugt und der Klavierhammer somit
auch langsam zur Saite bewegt.
Ist das angelegte Vakuum hoch, so erfolgt
ein schnelles Leersaugen und eine schnelle Balgbewegung. Der Ton erklingt
laut. Alle hochwertigen Selbstspielklaviere verfügen über eine geteilte
Windlade, d.h., die linke und die rechte Klaviaturhälfte können mit
verschiedenen Vakua gespeist und somit gleichzeitig mit unterschiedlicher
Lautstärke gespielt werden. Der zum Leersaugen von Windlade, Tonbälgen und
Leitungen benötigte Saugwind wird durch ein Vakuumgebläse, das aus mehreren
großen Bälgen besteht, erzeugt.
Die ersten pneumatisch betätigten
Klavierspielapparate erschienen wenige Jahre vor der Jahrhundertwende in
Amerika und ab 1901 in Deutschland auf dem Markt. Das bekannteste
amerikanische Fabrikat war das Pianola der Aeolian-Company, das in der
ersten Ausführung 65 Klaviertöne spielen konnte. Kurz darauf erschien in
Deutschland die Phonola der Firma Hupfeld aus Leipzig, die 73, später 88
Töne betätigen konnte. Obwohl Pianola und Phonola Namen bestimmter
Instrumente waren, bürgerten sich beide als Gattungsnamen für
selbstspielende Klaviere ein.
Bei diesen frühen Instrumenten musste noch
ein "Spieler" durch Betätigen von Fußtritten (ähnlich einem Harmonium) das
Vakuum erzeugen. Zudem musste er mit Hilfe von Hebeln das Musikstück
"interpretieren", d.h. Dynamik und Geschwindigkeit variieren.
Das Reproduktionsklavier
Die technische Perfektionierung der
Klavierspielapparate, die nach der Jahrhundertwende zu Hunderttausenden verkauft
wurden, setzte sich stürmisch fort: 1904 ließ sich die Firma Welte aus Freiburg
im Breisgau ein Steuersystem patentieren, das es erlaubte, das Klavierspiel ohne
Beeinflussung durch einen "Spieler" mit allen dynamischen Details wiederzugeben.
Dies war die Geburtsstunde des ersten Reproduktionsklaviers, des
geheimnisumwobenen Welte-Mignon-Systems. Damit war es erstmals möglich, das
Originalklavierspiel eines Pianisten mit einem entsprechend konstruierten Flügel
auf eine Notenrolle aufzunehmen und über ein Welte-Mignon-Instrument mit allen
agogischen und dynamischen Details wiederzugeben.
Ein Elektromotor diente zum Antrieb des
Vakuumgebläses. Alle Funktionen wie Tonanschlag, Pedalbetätigung oder Dynamik
wurden durch Löcher der Notenrolle gesteuert.
Die Geschwindigkeitsänderungen wurden bei
der Aufnahme durch die Anordnung der Tonlöcher exakt festgelegt, so dass man
die Geschwindigkeit der Notenrolle während des Spiels nicht variieren
musste. Es war nun erstmals in der Geschichte der Musik möglich, das
Klavierspiel eines Pianisten aufzuzeichnen und für die Nachwelt zu
konservieren beziehungsweise im eigenen Heim erklingen zu lassen.
Für die hohe Qualität dieses Verfahrens
spricht, dass alle bedeutenden Pianisten und auch viele Komponisten zwischen
1904 und ca. 1930 dieses Medium nutzten. So besitzen wir heute unschätzbare
Tondokumente vieler Liszt-Schüler wie etwa Eugen d'Albert, Alfred Reisenauer,
Conrad Ansorge, Hans von Bülow, Frédéric Lamond, Bernhard Stavenhagen und
Emil Sauer, aber auch Interpretationen von Jgnaz Paderewski, Ferruccio
Busoni oder Teresa Carreño. Die damals noch junge Pianisten-Generation
verewigte ebenfalls ihre Kunst: Namen wie Wilhelm Backhaus, Elly Ney, Alfred
Cortot, Edwin Fischer, Walter Gieseking und sogar Wladimir Horowitz
erschienen in den Rollen-Katalogen der Firma Welte.
Max Reger im Aufnahmestudio der Firma Hupfeld Alfred Cortot im Aufnahmestudio der Firma Hupfeld
Für die Komponisten war das
Reproduktionsklavier das ideale Medium zur Konservierung ihrer
Werkauffassung, und es wurde von vielen Meistern genutzt, um eigene Werke
einzuspielen: so gibt es Notenrollen von Edvard Grieg, Max Reger, Manuel de
Falla, Enrique Granados, Alexander Skrjabin, Claude Debussy, Camille
Saint-Saëns, Maurice Ravel, Pietro Mascagni, Engelbert Humperdinck, Wilhelm
Kienzl; selbst Richard Strauss und Gustav Mahler scheuten sich nicht,
Auszüge aus ihren Opern und Sinfonien auf Klavierrolle einzuspielen.
Welte war zwar der erste, aber nicht der
einzige Hersteller von Reproduktionsklavieren und Notenrollen: 1905 erschien
das "DEA"-Instrument, um 1918 das "Triphonola" der Firma Hupfeld; die
Musikwerkefabrik Philipps aus Frankfurt konstruierte 1908 das "Duca". Der
amerikanische Markt wurde von der Aeolian Company mit dem "Duo-Art" (ab
1913) sowie von der American Piano Company mit dem "Ampico" (ab 1914)
beherrscht. Daneben gab es in Europa und den USA noch einige weniger
bedeutende Systeme mit nur geringem Marktanteil.
Der Selbstspielmechanismus wurde sowohl in
Klaviere als auch in Flügel eingebaut. Zudem stellten einige Firmen (Philipps,
Welte, Hupfeld) Selbstspielapparate her, die unabhängig von einem Instrument
waren, die so genannten "Vorsetzer". Diese Geräte sind mit filzbezogenen
Holzfingern ausgestattet und können vor jedes konventionelle Handspielklavier
bzw. vor jeden Flügel gestellt werden. Man ist somit bei der Wiedergabe nicht
mehr auf ein integriertes Instrument angewiesen, d.h. ein Vorsetzer kann mit
jedem modernen Konzertflügel kombiniert werden.
Für die Bedeutung der Reproduktionsklaviere
spricht die hohe Akzeptanz sowohl bei den Interpreten als auch bei den Kunden.
Selbstspielklaviere wurden zu Hunderttausenden hergestellt und verkauft, und ein
bürgerlicher Haushalt war ohne ein solches nicht vollständig eingerichtet. Die
Verkaufsziffern überstiegen zeitweise sogar diejenigen der normalen
Handspielklaviere.
Die berühmten Pianisten waren damals bei den
Musikwerkefabriken unter Vertrag, so wie sie es heute bei den großen
Schallplattenfirmen sind. Die Liste der in den Notenrollenkatalogen
vertretenen Künstler liest sich wie ein Almanach des Musiklebens des
beginnenden 20.Jahrhunderts. Pianisten, Komponisten und Dirigenten gaben
sich die Türen der Aufnahmestudios in die Hand. So machte z.B. Eugen
d'Albert bei den großen Herstellern von Reproduktionsklavieren nicht weniger
als 111 Aufnahmen - nicht gerechnet die kleineren Firmen, bei denen er
ebenfalls Notenrollen einspielte.
Das Aufnahmeverfahren
Alle Hersteller von Reproduktionsklavieren und
Notenrollen verfügten über spezielle Aufnahmeflügel, deren "Spielart" durch den
Aufnahmemechanismus möglichst wenig beeinflusst werden durfte. Sieht man einmal
von den Pedalbewegungen ab, so lässt sich jede - auch noch so differenzierte -
Interpretation auf drei Variable reduzieren: Zeitpunkt des Tastenanschlages,
Geschwindigkeit, mit der der Hammer auf die Saite auftrifft (Lautstärke) sowie
seine Dauer des Tastenanschlages (Tonlänge). Diese Variablen genügen zusammen
mit der Pedalbewegung zur vollständigen Beschreibung solch komplexer Vorgänge
wie Phrasierung, Agogik, Rhythmus oder Dynamik, d.h., ein Pianist hat über diese
Variablen hinaus keine weiteren Einwirkungsmöglichkeiten auf das Klanggeschehen.
(Selbstverständlich kann ein Pianist diese drei Variablen auf vielfältigste
Weise beeinflussen.)
Unproblematisch und sehr zuverlässig war die
Aufzeichnung der ersten Variablen - der Tondauer. Die 88 Tasten des
Aufnahmeflügels waren mit elektrischen Kontakten versehen, die ihrerseits
mit dem Aufnahmeapparat, der sich oft im Nebenraum befand, verbunden waren.
Dieser Aufnahmeapparat enthielt eine sich drehende Papierrolle sowie 88 an
Elektromagneten befestigte Schreibstifte für die Klaviertöne sowie zwei
Stifte für die Pedale. Betätigte der Pianist eine Taste, so wurde ein
Stromkreis geschlossen. Der nun fließende Strom erregte einen
Elektromagneten, der seinerseits den entsprechenden Stift auf das sich
abspulende Papier drückte und so einen Strich erzeugte. Wurde die Taste
wieder freigegeben, so wurde der Stromkreis unterbrochen und der Stift vom
Papier abgehoben. Da sich das Papier mit einer konstanten Geschwindigkeit
bewegte, wurden alle Zeitverhältnisse einschließlich der Pedalbewegungen
exakt aufgezeichnet.
Anschließend wurde der Papierstreifen von
Hand gestanzt - es entstand die "Mutterrolle", die dann - noch ohne Dynamik
- abgehört und bearbeitet werden konnte. Aeolian in London verfügte -
allerdings erst in den zwanziger Jahren - über eine Stanzmaschine, die 4000
Löcher pro Minute stanzen konnte und die direkt am Aufnahmeflügel
angeschlossen war.
Fehler des Pianisten wurden grundsätzlich
ausgemerzt. So schrieb Rudolf Serkin, der um 1928 Aufnahmen für Welte
gemacht hatte, 1982 an einen Freund: Herr Welte wusste genau Bescheid über
die Musik und ich erinnere mich gut, dass er mir sagte ich brauche keine
Angst vor falschen Noten zu haben, er müsste dann nur ein Loch in der Rolle
woanders hinsetzen. Reginald Reynolds, langjähriger Aufnahmeleiter der
englischen Duo-Art-Niederlassung in London und als „The Paderewski of the
Player Piano“ apostrophiert, erzählte einmal, er habe bei einer Aufnahme
eines der „finest artists“ nicht weniger als 360 falsche Töne korrigiert.
Wesentlich schwieriger war die Aufzeichnung
der Dynamik. Jede Firma benutzte ein eigenes Codierungssystem, wofür an den
seitlichen Rändern der Notenrolle je etwa acht Spuren zur Verfügung standen.
Die meisten Systeme beherrschten ein kontinuierliches Lautstärkespektrum vom
feinen Pianissimo bis zum kräftigen Fortissimo. Einzig Duo-Art benutzte 16
festgelegte Lautstärkestufen, die sich jedoch durch Nutzung des linken
Pedals noch weiter differenzieren ließen. Bei allen Systemen wurde die
Dynamik für die linke und rechte Klaviaturhälfte getrennt aufgezeichnet.
Obwohl die Firma Welte angab, über ein geheimes Aufzeichnungsverfahren für
die Dynamik zu verfügen, gibt es keinen Anhaltspunkt für dessen tatsächliche
Existenz. Hätte Welte über eine solche Vorrichtung verfügt, so hätte die
Firma mit Sicherheit hierfür einen Patentschutz beantragt. Eine
Patentrecherche des Autors zeigte jedoch, dass keine entsprechende Anmeldung
vorlag.
Von anderen Firmen ist bekannt, dass die
Dynamik von versierten Mitarbeitern während der Aufnahmesitzungen in die
Partitur notiert und anschließend auf die Notenrolle übertragen wurde.
Aeolian schnitt sogar zeitweise die Aufnahmesitzungen auf Grammophonplatten
mit, die zur Dokumentation der Dynamik dienten. Erst 1926 und somit gegen
Ende der Ära des Selbstspielklaviers verfügte die American Piano Company
über ein präzises Aufzeichnungsverfahren für die Hammergeschwindigkeit.
Fragen der Authentizität
Bei der Diskussion um die Authentizität einer
Notenrollenaufnahme wird die Frage nach einem selbsttätigen
Aufzeichnungsverfahren für die Dynamik oft überbewertet, denn in jedem Falle
wurde die Mutterrolle von einem erfahrenen Notenrolleneditor so lange
bearbeitet, bis die Aufnahme vom Künstler als seine Interpretation akzeptiert
wurde. Zumindest bei den deutschen Firmen dokumentierte der Pianist sein
Einverständnis durch seine Unterschrift auf der Notenrolle.
Zudem bescheinigten viele Interpreten den
Musikwerkefirmen die hohe Qualität Ihrer Produkte, wobei sich die Gunst der
Künstler auf alle Firmen verteilte. So schreibt z.B. Eugen d'Albert 1909 über
das Duca-System: "Duca ist das beste Reproduktionsklavier, welches ich bis jetzt
kennen lernte." Claude Debussy hingegen meint: "Es ist unmöglich, die
Welte-Apparate in ihrer vollendeten Wiedergabe zu übertreffen."
Wenn es auch Hinweise dafür gibt, dass diese
z.T. überschwänglichen Beurteilungen von den Firmen vorformuliert wurden, so
darf man doch davon ausgehen, dass kein Künstler ein solches Urteil gegen
seine Überzeugung unterschrieb. Josef Hofmann sagte einmal, als er seine
eigenen Aufnahmen hörte, habe er erstmals Feinheiten in seiner
Interpretation erkannt, deren er sich zuvor nicht bewusst war. Dies habe ihn
ermutigt, weiterhin an seinem Stil zu arbeiten. Die American Piano Company
veranstaltete sogar öffentliche "Quiz"-Veranstaltungen, um die naturgetreue
Wiedergabe durch ihr Ampico-Klavier zu belegen, wobei Selbstspielklavier und
Pianist verdeckt hinter Vorhängen spielten. So fand z.B. am 3. Februar 1920
in der Carnegie Hall in New York ein Konzert mit fünf der berühmtesten
Pianisten statt: neben Leopold Godowsky spielten Mischa Levitzki, Benno
Moiseiwitsch, Leo Ornstein und Artur Rubinstein je eine Komposition, gefolgt
von der Notenrolleneinspielung desselben Pianisten.
Bei diesem Konzert war somit ein direkter
Vergleich zwischen dem Live-Spiel und der Aufnahme möglich, und die Kritiker
lobten die Nuanciermöglichkeiten des Ampico-Systems, das die
charakteristischen Merkmale eines jeden Pianisten aufnehmen und wiedergeben
konnte und glaubten, keinen Unterschied zwischen dem Live-Spiel und der
Tonkonserve feststellen zu können. Die Veranstaltung endete mit einem
Triumph für das Ampico. Man darf deshalb davon ausgehen, dass zur damaligen
Zeit Reproduktionsklaviere durchaus in der Lage waren, Klavierspiel
authentisch wiederzugeben.
Hört man sich hingegen einige der heute
angebotenen Überspielungen auf moderne Tonträger an, so können berechtigte
Zweifel an dieser Aussage aufkommen. Die Ursache für eine unglaubwürdige
oder gar schlechte Interpretation liegt jedoch in aller Regel nicht in der
Notenrollenaufnahme, sondern in der mangelhaften Wiedergabe durch die heute
verwendeten Reproduktionsklaviere. Auf einige der häufigsten Fehlerquellen
sei im folgenden hingewiesen.
Voraussetzung für eine optimale Wiedergabe
von Notenrollen ist eine gründliche Restaurierung des
Reproduktionsinstrumentes. Die wesentlichen Werkstoffe des
Selbstspielmechanismus sind Holz, Gummituch, Leder und Schlauch. Das
Gummituch wird zum Beziehen der über 100 Bälge verwendet und ist im Laufe
vieler Jahrzehnte versprödet. Es zeigt in den Knickstellen meist kleine
Löcher, die zu einem beträchtlichen Vakuumverlust führen können. Das Leder
dient vorwiegend als Dichtungsmaterial für vakuumführende Teile (Windlade)
und Ventile. Auch Leder verhärtet und kann die Dichtungsfunktion nicht mehr
optimal erfüllen. Gummischläuche werden porös, verspröden und haben oft jede
Flexibilität verloren. Da jede Undichtigkeit zwangsläufig zu einer
Fehlfunktion und zu einem Dynamikverlust führt, müssen diese Werkstoffe
fachgerecht ersetzt werden. Ohrenfällig werden diese Zusammenhänge beim
Anhören der Telefunkenkassette "Welte-Mignon 1905" (SLA 25057-T/1-5). Die
Dynamik ist stark eingeengt und kommt kaum über ein mittleres Forte hinaus.
Hierdurch wirken die Interpretationen farb- und konturlos.
Trotz dieses Mangels wurden diese Schallplatten
auf CD überspielt und bei Teldec als "Welte Mignon Piano 1905-1906"
(4509-95354-2) angeboten. Offensichtlich sind die Herausgeber "hellhörig"
geworden, ihre Schlussfolgerung, die dem Booklet zu entnehmen ist, geht jedoch
am Kern der Sache vorbei: "Die Wiedergabe im Grenzbereich des äußersten
Pianissimo und Fortissimo scheint nicht möglich gewesen zu sein, denn die
Einspielungen bewegen sich durchgehend im mittleren Dynamikbereich." Eine
gründliche Restaurierung und eine fachgerechte Regulierung des
Wiedergabeinstrumentes hätten hier sicherlich Wunder bewirkt.
Neben der Restaurierung ist die Justierung der
Pneumatik und die Regulierung der Klaviermechanik von entscheidender Bedeutung.
So gibt es für alle Systeme spezielle Testrollen, mit deren Hilfe sowohl
Geschwindigkeit als auch Pedal- und Dynamikfunktionen exakt einreguliert wer
So sollte z.B. die Einhaltung der exakten Geschwindigkeit bei Welte kein
Problem sein, legte die Firma doch fest, dass die Notenrolle mit einer
Geschwindigkeit von 143 cm pro 30 Sekunden am Gleitblock vorbeilaufen soll.
Trotz der exakten Justierung der Anfangsgeschwindigkeit kommt es
insbesondere bei langen Kompositionen zu beträchtlichen Abweichungen, weil
die aufwickelnde Rolle angetrieben wird; durch ihren zunehmenden Umfang
während des Spiels erhöht sich die Papiergeschwindigkeit kontinuierlich, so
dass ggf. das Tempo etwas zurückgenommen werden muss. So variiert z.B. die
Dauer der Figaro-Fantasie von Mozart/Liszt, Welte-Rolle Nr. 4128, gespielt
von Wladimir Horowitz, bei drei verschiedenen Plattenaufnahmen zwischen
11'32'' und 14'15''. Die schnellste Version, deren virtuose Fingerfertigkeit
selbst die Möglichkeiten eines Horowitz übersteigen dürfte, ist auf der
EMI-Schallplatte 067 EL 270448 "Franz Liszt - Klavieraufnahmen auf
Welte-Mignon" zu finden; die langsamste Version ("Welte Mignon Digital",
Intercord 160.864) wirkt hingegen etwas behäbig, aber wesentlich
glaubwürdiger. Hier dürfte die CD Bellaphon 690.07.009 der Condon Collection
der Wahrheit am nächsten kommen.
Völlig indiskutabel ist z.B. die Aufnahme von
Schuberts Impromptu op. 142/4, gespielt von Eugen d'Albert in der als "World
Premiers" angekündigten 3 CD-Kassette von Autographe, Nr. 158003/4/5 "L'HERITAGE
DES GRANDS" (übersetzt mit "Das Erbe der Berühmte"): durch die viel zu hoch
eingestellte Geschwindigkeit entarten Komposition und Interpretation zu einer
heruntergehuddelten Farce, und es entsteht der Eindruck, als würde ein alter
Plattenspieler statt mit 33 mit 45 Umdrehungen laufen.
Von großer Bedeutung für eine überzeugende
Wiedergabe von Notenrollen ist das präzise Arbeiten des rechten Pedals, da eine
falsche Einstellung das musikalische Ergebnis geradezu entstellen kann. So
erinnert z.B. Wagners Walkürenritt in einer Interpretation von Olga Samaroff auf
der EMI-Platte 1C 065 146 7781 eher an das Hüpfen über ein Stoppelfeld als an
ein Wagnersches Klanggemälde, weil das rechte Pedal nur schlecht anspricht.
Oft ist die Dominanz der linken Klaviaturhälfte
störend: Melodietöne und Arpeggien werden an vielen Stellen durch einen zu
lauten Bass überdeckt. Die Ursache hierfür ist in einer ungenügenden Justierung
der Dynamik-Balance der beiden Klaviaturhälften des Wiedergabeinstrumentes zu
finden.
Das Notenrollenrepertoire
Zwischen 1905 und ca. 1925 wurden etwa 35.000
verschiedene Notenrollen bei einer Vielzahl von Musikwerke-Firmen bzw.
Notenrollen-Produzenten eingespielt. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem
klassisch-romantischen Klavierrepertoire sowie - dem damaligen Geschmack
entsprechend - bei den Operntranskriptionen, letztere oft von bekannten
Dirigenten wie Felix Mottl, Walter Damrosch, Cornelius Rybner und Emil Paur
interpretiert.
Insbesondere die virtuose Klaviermusik von
Chopin und Liszt ist nahezu lückenlos vertreten. So gibt es etwa 1.300
verschiedene Einspielungen der Werke Chopins. Während von den Mazurken und
Préludes oft nur eine Interpretation auf dem Markt war, gab es unter den
Balladen, Nocturnes, Polonaisen und Walzern echte Verkaufsschlager. So konnte
man bei der As-Dur Ballade zwischen 26 verschiedenen Aufnahmen wählen - darunter
Interpretationen von d’Albert, Ansorge, Backhaus, Carreño, Godowsky, Pachmann,
Paderewski und Artur Rubinstein.
Manche der beliebteren Etüden (z.B. Op. 10
No.3 und Op. 25 No. 1) wurden in 15 bis 20 Aufnahmen angeboten, während das
Nocturne Op. 15 No. 2 sogar in 28 Interpretationen vorlag (u. a. d’Albert,
Busoni, Pachmann, Rubinstein, Saint-Saëns und Scharwenka).
Ähnlicher Beliebtheit erfreute sich das
Klavierwerk von Franz Liszt - der Musikliebhaber konnte unter 700 Aufnahmen
wählen. Der ‘Hit’ der damaligen Zeit war offensichtlich die dritte
Konzertetüde (Des-Dur), die in 29 Aufnahmen vorlag (u.a. Harold Bauer,
Frédéric Lamond, Teresa Carreño und Sophie Menter). Ähnlich beliebt war der
Liebestraum As-Dur mit 24 Einspielungen (d’Albert, Gabrilowitsch, Hofmann,
Lamond, Ornstein, Scharwenka).
Nicht ganz so umfangreich war das Angebot an
Werken Beethovens. Von einigen Sonaten gab es nur wenige Einspielungen,
während man bei den beliebteren Werken zwischen einer Vielzahl an
Interpretationen wählen konnte.
So wurden von der Sonate Op. 27 No. 2
(Mondscheinsonate) 36 Rollen angeboten, wobei allerdings zu beachten ist,
dass die mehrsätzigen Werke fast immer auf mehrere Rollen verteilt waren.
Reich vertreten waren auch zwei- und vierhändige Transkriptionen der
Sinfonien.
Das Werk Mozarts ist mit nur 170 Aufnahmen sehr
lückenhaft repräsentiert. Ein ‘Hit’ war offensichtlich die d-moll Fantasie
mit elf Einspielungen. Auffallend ist, dass man prominente Namen wie Busoni,
Carreño, d’Albert, Friedberg, Hofmann, Lamond oder Paderewski in der Reihe
der Mozart-Interpreten vergeblich sucht. Bemerkenswert ist hingegen die
Einspielung der Klaviersonate KV 576 durch Wanda Landowska, die allerdings
nur wenige Rollen - neben der fünften Englischen Suite von Bach, dem Andante
Favori und der Sonate Op. 26 von Beethoven, einer Haydn-Sonate und zwei
Chopin-Walzern auch weniger Bekanntes von Jean Francois Dandrieu, Louis
Claude Daquin und Francesco Durante - eingespielt hat.
Auch Johann Sebastian Bach schien sich bei
Pianisten und Musikfreunden keiner allzu großen Beliebtheit zu erfreuen. So
wurden aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers nur elf Präludien
und Fugen angeboten, der zweite Band war gar nur mit fünf dieser Werke
vertreten. Sieht man von den Bach-Transkriptionen (u.a. von Busoni, d’Albert,
Cortot, von Bülow) ab, so trifft man kaum auf bekannte Pianistennamen.
Lediglich Präludium und Fuge No. 5 aus dem ersten Teil des Wohltemperierten
Klaviers scheint die ‘Großen’ gereizt zu haben, befinden sich doch so
bedeutende Pianisten wie Edwin Fischer, Harold Bauer und Wladimir
Horowitz unter den Interpreten.
Ob die Pianisten im ersten Quartal unseres
Jahrhunderts Bach und Mozart auch in den Konzertsälen vernachlässigten, mag
die Musikgeschichte erhellen. Als sicher darf angenommen werden, dass die
Werke dieser Komponisten nicht dem damaligen allgemeinen Musikgeschmack
entsprachen, und die Marktstrategen der Notenrollen-Hersteller deshalb auch
keine breiten Käuferschichten hierfür erwarteten.
Legendäre Pianisten, die Lochstreifen
eingespielt haben
Nahezu alle bedeutenden Pianisten der
Jahrhundertwende und viele Komponisten nutzten das damals neue Verfahren, um ihr
Klavierspiel aufzuzeichnen. Fast alle Aufnahmen sind bis heute in Form der
Lochstreifen erhalten geblieben. Die folgenden Pianisten und Komponisten
(Auswahl) spielten für Welte, Hupfeld, Ampico oder Duo Art:
Eugen d'Albert, Konrad Ansorge, Claudio Arrau,
Wilhelm Backhaus, Harold Bauer, Fanny Bloomfield-Zeisler, Ferruccio Busoni,
Teresa Carreno, Aaron Copland, Alfred Cortot, Claude Debussy, Ernst von Dohnany,
Annette Essipoff, Gabriel Fauré, Edwin Fischer, Carl Friedberg, Arthur
Friedheim, Ignaz Friedman, Ossip Gabrilowitsch, Rudolph Ganz, George Gershwin,
Walter Gieseking, Alexander Glazunow, Leopold Godowsky, Edvard Grieg, Alfred
Grünfeld, Mark Hambourg, Myra Hess, Josef Hofmann, Alfred Höhn, Wladimir
Horowitz, Engelbert Humperdinck, Wilhelm Kienzl, Frédéric Lamond, Wanda
Landowska, Sándor Lázlo, Ruggiero Leoncavallo, Theodor Leschetitzky, Mischa
Levitzki, Josef Lhévinne, Gustav Mahler, Nikolaus Medtner, Benno Moiseiwitsch,
Felix Mottl, Elly Ney, Walter Niemann, Arthur Nikisch, Leo Ornstein, Wladimir
Pachmann, Ignaz Paderewski, Max Pauer, Egon Petri, Sergej Prokofieff, Raoul
Pugno, Maurice Ravel, Max Reger, Carl Reinecke, Alfred Reisenauer, Moriz
Rosenthal, Artur Rubinstein, Camille Saint-Saëns, Olga Samaroff, Emil von Sauer,
Xaver Scharwenka, Artur Schnabel, Cyril Scott, Alexander Scriabine, Rudolf
Serkin, Bernhard Stavenhagen, Richard Strauss, Igor Stravinsky, Felix
Weingartner, Josef Weiß.
Alle Texte: © Jürgen Hocker
Das
Ampico-System
Exemplarisch für die Reproduktionsklaviere soll
das in den USA entwickelte Ampico-System ausführlicher beschrieben werden, da es
einerseits eines der am weitesten verbreiteten Player Pianos war, und
andererseits von Conlon Nancarrow für seine ‘Studies
for Player Piano’ benutzt wurde.
Arbeitsweise
Das von der Freiburger Musikwerkefirma
Welte & Söhne 1904 patentierte Verfahren zur Wiedergabe des Klavierspiels
mit allen dynamischen Nuancen wurde in der Folgezeit von mehreren großen
Firmen weiterentwickelt. In den USA ließen zwei Fabrikate die Konkurrenz
weit hinter sich: das Duo-Art der Aeolian-Company und das Ampico der American
Piano Company. Das Spitzenmodell der American Piano Company war der mit
dem Ampico-Selbstspielmechanismus ausgestattete Bösendorfer-Flügel.
Das Ampico-System arbeitet - wie fast alle ‘historischen’
Selbstspielklaviersysteme - rein pneumatisch. Auch bei diesem System erzeugt ein
Elektromotor über große Bälge (Schöpfer) ein Vakuum. Dieses Vakuum steuert und
übernimmt alle weiteren Funktionen. Der
Gleitblock enthält für jeden Klavierton eine gesonderte Öffnung. Wird nun ein
gelochter Papierstreifen (Notenrolle) über den Gleitblock gezogen und trifft ein
Loch der Notenrolle auf eine Öffnung des Gleitblocks, so strömt Luft in das
Vakuum, und der so entstehende Luftstoß öffnet ein Ventil.
Gleitblock eines Ampico-Klaviers ohne Notenrolle
Gleitblock eines Ampico-Klaviers beim Einlegen einer Notenrolle
Dieses Ventil
verbindet nun einen kleinen geöffneten Balg (Tonbalg) mit dem Vakuum. Der Balg
wird leer gesaugt und klappt zu. Diese Bewegung wird auf den Klavierhammer
übertragen - die Saite wird angeschlagen. Da das Ampico-System 83 Klaviertöne
selbsttätig spielen kann, verfügt das Instrument über 83 Ventile sowie 83
Tonbälge, die auf einer Vakuumkammer (Windlade) aufgeleimt sind. Durch weitere
Öffnungen im Gleitblock kann die Höhe des Vakuums und somit die Stärke des
Anschlages, d.h. die Dynamik, variiert werden. Das Ampico-System beherrscht
stufenlos den gesamten Dynamik-Bereich vom feinsten Pianissimo bis zum
mehrfachen Fortissimo. Über zwei weitere
Lochungen im Gleitblock können sowohl das linke als auch das rechte Pedal über
Perforationen in der Notenrolle gesteuert werden. Eine weitere Öffnung überträgt
den Befehl zum automatischen Zurückspulen der Notenrolle am Ende einer
Komposition. Äußerlich unterscheiden sich die Selbstspielinstrumente nur
unwesentlich von Handspielinstrumenten. Bei einem Ampico-Selbstspielklavier
befindet sich der Abtastmechanismus (Gleitblock) in einem über der Klaviatur
eingebauten Notenrollenkasten etwa auf Höhe der Klavierhämmer. Motor, Schöpfer,
Windlade mit Tonblägen, Dynamik- und Pedaleinrichtungen sowie der ebenfalls über
Vakuum angetriebene Motor für die Notenrolle (Windmotor) befinden sich, von
außen nicht sichtbar, im Instrument. Bei dem Ampico-Selbstspielflügel befinden
sich der Notenrollenkasten und der Windmotor in einer ausziehbaren Schublade
unterhalb der Klaviatur. Alle anderen Einrichtungen befinden sich an der
Unterseite des Flügels.
Notenrollen unterschiedlicher Firmen mit
den Interpretationen bedeutender Pianisten und Komponisten. (Camille Saint Saëns,
Wilhelm Backhaus, Alfred Cortot, Eugen d’Albert, Max Reger, Emil Sauer,
Ferruccio Busoni, Igor Strawinsky.)
Foto: Heinrich Mehring
Interpretatorische
Möglichkeiten des Ampico-Systems
Hochwertige Selbstspielklaviere
können das natürliche Klavierspiel nahezu perfekt reproduzieren.
Tonhöhe, Tonlänge, Dynamik, Agogik und Pedalbetätigung können
auf der Notenrolle in Form von Lochungen angegeben und von dem Instrument
- einwandfreie Funktionsweise vorausgesetzt - exakt und zuverlässig
wiedergegeben werden. Das Ampico-System verfügt über ein ausgeklügeltes
Dynamik-System. Neben 7 festgelegten Lautstärkestufen, denen man ungefähr
ppp, pp, p, mf, f, ff und fff zuordnen kann, ermöglicht die Pneumatik
je ein langsames und ein schnelles Crescendo bzw. Decrescendo (vgl. „Die
Notenrolle“). Darüber hinaus besitzen auch diese Instrumente eine
in der Mitte der Klaviatur geteilte Windlade, so dass im Bass
und im Diskant mit unterschiedlichen Lautstärken gespielt werden kann.
Das Umschalten auf unterschiedliche Lautstärken erfolgt in Sekundenbruchteilen.
Die diskreten Lautstärkebefehle dienen vorwiegend zum Setzen von Akzenten,
während kontinuierliche Lautstärke-Änderungen über
Crescendo- und Decrescendo-Befehle gesteuert werden.
Die Notenrolle
Als Informationsträger
des Ampico-Selbstspielklaviers dient eine Notenrolle aus Papier mit einer
Breite von 28,5 cm und einer Länge bis zu 30 Metern. Eine Notenrolle
kann bis zu 15 Minuten Klaviermusik aufnehmen. Um ein problemloses Abspielen
sowie eine lange Lebensdauer zu gewährleisten, müssen an die
Papierqualität hohe Anforderungen gestellt werden. Das Papier sollte
stabil und alterungsbeständig sein und sich bei einer Änderung
von Temperatur und Luftfeuchtigkeit nur minimal ausdehnen bzw. zusammenziehen.
Bei höheren Ausdehnungskoeffizienten "verlaufen" die Notenrollen,
d.h. die Spuren auf den Rollen stimmen nicht mehr mit den Öffnungen
im Gleitblock überein. Zudem sollte sich das Papier leicht lochen
lassen - es dürfen keine Papierfasern an den Lochrändern entstehen,
die beim Abspielen über den Gleitblock in die Pneumatik gesaugt werden
und die einwandfreie Funktion des Systems beeinträchtigen könnten.
Die Ampico-Notenrollen verfügen über 98 Spuren, die von den ebenfalls
98 Öffnungen des Gleitblockes abgetastet werden.
Am linken und am rechten
Rand der Notenrolle sind - getrennt nach Bass und Diskant -
die Spuren für die Lautstärke, die Pedale sowie die Rückspulung
angeordnet. Den Hauptteil der Notenrolle nehmen die Spuren für die
83 Klaviertöne ein, die vom Subkontra-H bis zum viergestrichenen A reichen
und die - analog dem Instrument - chromatisch angeordnet sind.
Ampico-Gleitblock
Bass-Seite
1. Langsames Crescendo
2. Intensität 2
3. Rechtes Pedal
4. Intensität 3
5. Schnelles Crescendo
6. Intensität 4
7. Intensität aus |
Diskant-Seite
1. Langsames Crescendo
2. Intensität 2
3. Linkes Pedal
4. Intensität 3
5. Schnelles Crescendo
6. Intensität 4
7. Intensität aus
8. Rückspulung |
Die Spuren 1 und 5 (Bass
und Diskant) dienen zur kontinuierlichen Veränderung der Lautstärke.
Das langsame Crescendo benötigt von pp zu ff ca. 11 Sekunden, das
schnelle Crescendo ca. zwei Sekunden. Entsprechende Zeiten gelten für
schnelles und langsames Decrescendo. Mit den Intensitätsspuren 2,
4 und 6 lassen sich sieben diskrete Lautstärkestufen - getrennt nach
Bass und Diskant - steuern. Dabei schaltet ein Loch auf der betreffenden
Spur die gewünschte Lautstärke ein und der "Intensität aus"-Befehl
(Spur 7) schaltet wieder auf Pianissimo.
Die sieben Lautstärken
werden wie folgt durch kurze Lochungen auf den entsprechenden Spuren geschaltet:
-
Intensität 1: kein
Befehl
-
Intensität 2: Spur
2
-
Intensität 3: Spur
4
-
Intensität 4: Spur
6
-
Intensität 4a: Spur 2 +
4 (Intensität 4 und 4a ergeben etwa gleiche Lautstärke)
-
Intensität 5: Spur
2 + 6
-
Intensität 6: Spur
4 + 6
-
Intensität 7: Spur
2 + 4 + 6
Vor einem neuen Lautstärke-Befehl
sollte jeweils der "Intensität aus"-Befehl (cancel) gelocht sein,
um ein sicheres Umschalten zu gewährleisten. Rechtes und linkes Pedal
werden durch Lochreihen gesteuert, d.h. die Lochungen werden über
die gesamte Betätigungszeit der Pedale weitergeführt. Der Rückspulbefehl
(Spur 8, Diskantseite) erscheint nur einmal am Ende der Rolle und leitet
das selbsttätige Zurückspulen der Notenrolle ein. Nach Beendigung
des Rückspulvorgangs wird das Instrument ausgeschaltet. Analog allen
Informationsspuren verlaufen auch die 83 Tonspuren parallel vom Rollenanfang
bis zum Rollenende. Deckt sich ein Loch einer Tonspur mit einer entsprechenden
Öffnung des Gleitblocks, so wird - über einen kleinen Tonbalg
- ein Klavierhammer an die Saite bewegt: der Ton erklingt mit der über
die Intensität gesteuerten Lautstärke. Gleichzeitig hebt der
Dämpfer ab.
Die Länge des Tonanschlages
wird durch die Länge der Lochung bestimmt: enden die perlenschnurartigen
Lochungen, so senkt sich der Dämpfer und der Hammer fällt in
seine Ruhelage zurück. (Die Löcher einer "Perlenschnur" sind
so dicht hintereinander angeordnet, dass die Öffnung im Gleitblock
niemals ganz verschlossen wird. Eine solche aus Stabilitätsgründen
gewählte Lochreihe wirkt wie eine lange, durchgehende Öffnung.
Erst Einzellöcher in größerem Abstand voneinander würden
zu einer Repetition des Tones führen.) Stakkato-Töne erscheinen
als Einzellöcher, gehaltene Töne als lange und Akkorde als mehrere
parallele Lochreihen. Notenrollen lassen sich nach nur kurzer Übung
wie Partituren lesen.
Beginn der As-dur Polonaise
op.53 von Frédéric Chopin. Über der konventionellen
Notenschrift befindet sich ein Ausschnitt der Notenrolle (Lochstreifen)
in einer Interpretation von Harold Bauer. Statt langer Schlitze wurden
aus Stabilitätsgründen Lochreihen gestanzt. Auf die Wiedergabe
der Betonungs- und Pedallochungen
wurde verzichtet.
Ampico-Selbstspielflügel (Player Pianos)
Der Ampico-Selbstspielflügel des Autors mit geöffneter Schublade. Links
in der Schublade befindet sich der Windmotor, der die Notenrolle antreibt.
Da
Conlon
Nancarrow zur Wiedergabe seiner Studies for Player Piano ausschließlich das
Ampico System benutzte, erwarb der Autor mehrere dieser Instrumente. Das
wichtigste dieser Instrument, ein Ampico-Bösendorfer Flügel, wurde 1927
gebaut und 1986 in desolatem Zustand in Belgien erworben und in einjähriger
Arbeit von Jörg Borchardt restauriert und nach den Wünschen Nancarrows
modifiziert. Die auf einen Lochstreifen gestanzte Komposition wird während
des Abspielens über eine Lochleiste geführt und mit Hilfe von Vakuum
'abgetastet' .
Dabei lässt sich
der Anschlag der Töne mit absoluter zeitlicher Präzision reproduzieren.
Komplizierteste Metren und Rhythmen können exakt wiedergegeben werden.
"Vertikale Aggregate" (gleichzeitiger Anschlag beliebig vieler Töne
auf der gesamten Klaviatur) sowie "horizontale Aggregate" (rasende Arpeggien
und Glissandi mit über 100 Anschlägen pro Sekunde) können
von diesem Instrument problemlos ausgeführt werden. Die Dynamik ist
beim Ampico-System zwar stufenlos von Pianissimo bis Fortissimo regelbar, Nancarrow
benutzte jedoch aus ästhetischen Gründen vorwiegend Terrassendynamik.
Auch beide Pedale werden durch entsprechende Lochungen auf der Notenrolle
selbsttätig gesteuert.
Unterseite des Ampico-Selbstspielflügels. Rechts oben ein Elektromotor
(der einzige elektrische Baustein des Flügels), der über ein Schwungrad ein
Unterdruckgebläse antreibt. Hinter dem hellen senkrechten Holzbrett
befindet sich die Windlade. Ganz links ist die Schublade mit dem Gleitblock
angeordnet.
Beim zweiten für Aufführungen
zur Verfügung stehenden Instrument handelt es sich um einen Fischer
Ampico-Flügel von 1928, der 1991 erworben und restauriert wurde.
Durch ein neu entwickeltes
Zusatzgerät wurde es möglich, die Flügel auch mit Hilfe
eines Computers zu steuern, ohne Veränderungen an den pneumatischen
Funktionen vorzunehmen. Dadurch ist es erstmals möglich, zwei originale Player Pianos exakt zu synchronisieren. So konnte
anlässlich
der Donaueschinger Musiktage 1994 eine Study for two Player Pianos von
Conlon Nancarrow mit zwei originalen Player Pianos uraufgeführt werden.
Zwei Ampico-Selbstspielflügel dienten
während der Donaueschinger Musiktage 1994zur Aufführung von zeitgenössischen
Originalkompositionen. Erstmals war es mit Hilfe einer Computersteuerung möglich,
Nancarrows "Studies for two Player Pianos" aufzuführen.
Foto: Jürgen
Hocker
Die beiden Player-Pianos
(Ampico-Bösendorfer von 1927 und Ampico-Fischer von 1928) befinden
sich im Besitz von Jürgen Hocker. Restaurierung und Betreuung
der Instrumente:
Jörg
Borchardt. Entwicklung der Computersteuerung: Horst Mohr und Dr. Walter
Tenten. Neben den Ampico-Instrumenten
steht auch ein Welte-Vorsetzer für Konzertaufführungen zur Verfügung.
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